Nora Sophie Griefahn & Tabea Kaplan

31.08.2023

Tabea Kaplan (Loft Concerts GmbH) und Nora Sophie Griefahn (Cradle to Cradle NGO) gehören zu den Initiator:innen des Projekts „Labor Tempelhof“ im Zukunftsort Flughafen Tempelhof. Ein Projekt, das anhand von Großveranstaltungen zeigt, wie bereits heute vorhandene Cradle to Cradle-Lösungen zu einer Kreislaufwirtschaft führen können, die ökonomische, ökologische und soziale Mehrwerte für die gesamte Gesellschaft bietet.

Nora Sophie Griefahn ist Gründerin und geschäftsführende Vorständin von Cradle to Cradle NGO, die sich der Bildungs- und Vernetzungsarbeit zum Thema Cradle to Cradle widmet. Die NGO arbeitet dabei mit Wirtschaft, Wissenschaft, Bildung, Politik und Zivilgesellschaft zusammen.

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Tabea Kaplan ist bei der Loft Concerts GmbH Bereichsleiterin für Beneficial Events. Loft Concerts veranstaltet seit den 80er Jahren erfolgreich Konzerte in Berlin und zählt heute mit rund 200 Konzerten im Jahr zu den großen, lokalen Konzertveranstaltern der Stadt. Wie auch Cradle to Cradle NGO ist Loft Concerts GmbH Mitinitiator des Projekts “Labor Tempelhof” und spezialisiert sich seither auf den Bereich kreislauffähiges Veranstalten von (Groß)konzerten.

Wir konnten ihnen einige Fragen zu ihren Erfahrungen mit Labor Tempelhof stellen.

Welche Chancen bietet Berlin für Cradle to Cradle?

Nora Sophie Griefahn: Berlin ist eine Stadt der Innovation, Kultur und Vielfalt. Ideale Voraussetzungen also für ein innovatives Konzept wie Cradle to Cradle (C2C). Denn bei C2C geht es darum, die Dinge noch einmal ganz anders zu machen und umzudenken. Mit Cradle to Cradle sehen wir den Menschen als Nützling und schaffen ökologischen, ökonomischen und sozialen Mehrwert: Mit Produkten, die für ihr jeweiliges Nutzungsszenario designt und gesund für Mensch und Umwelt sind. Nicht umsonst sind in Berlin bereits zwei unserer Laborprojekte entstanden: Vor dem Labor Tempelhof haben wir mit dem C2C LAB in der Landsberger Allee gezeigt, wie eine kreislauffähige Sanierung auch im Ostberliner Plattenbau funktionieren kann. Gleichzeitig bietet C2C aber auch Chancen für die Stadt Berlin: Als Zukunftsbild, wie die Stadt von morgen aussehen kann.

Was sind aktuell die größten Hürden beim Umstieg von linearer Wirtschaft zu Cradle to Cradle?

Nora Sophie Griefahn: Wir haben mittlerweile eine ganze Reihe von “Leuchttürmen”, also erfolgreiche Beispielprojekte, aus verschiedenen Branchen. Das ist auch gut und wichtig, doch wir müssen schneller werden, diese Lösungen in die breite Anwendung zu bringen. Dafür brauchen wir aber auch die richtigen politischen Rahmenbedingungen und müssen direkte und indirekte Subventionen, die umweltschädliches Verhalten fördern, abschaffen.

Welche Vorurteile bezüglich Cradle to Cradle treffen Sie häufig an?

Nora Sophie Griefahn: Es gibt immer noch Menschen, die C2C als Utopie abtun. Doch es gibt mittlerweile so viele Beispiele aus der Praxis, die zeigen, dass C2C Realität sein kann und muss: Von Textilien, über Gebäude bis hin zu Konzerten. Ein weiteres Vorurteil: C2C-Produkte seien viel teurer als herkömmliche Produkte. Und natürlich muss in die Umstellung auf C2C erst einmal investiert werden: Es braucht Produktentwicklung und neue Produktionsprozesse. Aber die Produkte selbst müssen dann nicht teurer sein. Es kommt auch darauf an, auf welchen Zeitraum man sich bezieht: Betrachtet man die komplette Nutzungsdauer eines Produkts, von der Herstellung, über die Verwendung bis hin zur Entsorgung, und bezieht alle externen Folgekosten wie Gesundheitskosten oder Entsorgungskosten mit ein, sind C2C-Produkte oft sogar kostengünstiger.

Sie sind Mitverantwortliche für die Initiative „Labor Tempelhof“ – ein Projekt, das zeigt, wie auf dem Markt vorhandene zirkuläre und nachhaltige Innovationen u.a. im Veranstaltungskontext anwendbar sind. Was ist Ihre wichtigste Erkenntnis daraus und was hat Sie am meisten bei diesem Projekt überrascht?

Tabea Kaplan: Die Konzerte im Rahmen von Labor Tempelhof haben am Ende nur aufgrund der engen Zusammenarbeit und des Engagements aller Beteiligten funktionieren können: Die Bands Die Ärzte und Die Toten Hosen, der Tourneeveranstalter KKT GmbH – Kikis kleiner Tourneeservice, wir als örtlicher Veranstalter, die Produktionsfirma Side by Side GmbH und C2C NGO. Wir reden da mitunter über einen erheblichen finanziellen Mehraufwand im 6-stelligen Bereich, den die Bands und die Veranstalter bereitgestellt haben, um das Projekt zu ermöglichen.
Um zukünftig mit Live-Konzerten einen positiven Impact auf Mensch, Natur und Umwelt leisten zu können und den Flughafen Tempelhof als Best-Practice Beispiel und Leuchtturm-Projekt für das Land Berlin weiterzuentwickeln, benötigt es ein langfristiges, wechselseitiges Commitment aus Politik, Veranstaltende (Loft Concerts GmbH) und dem Standort (Tempelhof Projekt GmbH & Grün Berlin GmbH). Denn trotz eines ausführlichen, praxiserprobten Nachhaltigkeitskonzepts inklusive bekannten Künstler:innen, die hierfür ihre Bühne bieten, wird es den einzelnen Gewerken unter den derzeitigen Rahmenbedingungen nicht gelingen, ein solch ambitioniertes Ziel zu erreichen. Finanzielle Förderprogramme und Subventionen müssten hier entwickelt und herangezogen werden, wie es in anderen Wirtschaftszweigen bereits erfolgt.
Als Veranstalter sehen wir uns in der Pflicht einen entsprechenden Maßnahmenkatalog zum Thema nachhaltiges und kreislauffähiges Veranstalten (basierend auf dem Guidebook im Rahmen von Labor Tempelhof, das derzeit erarbeitet wird) zu erstellen und stetig weiterzuentwickeln. Wir agieren hierbei als Umsetzungspartner sowie Mittler zwischen Politik, Besucher:innen, Standort sowie Künstler:innen und tragen das Konzept somit in die Welt.

Welche Innovation hat Sie in letzter Zeit besonders beeindruckt?

Tabea Kaplan: Es gab im Rahmen des Projekts viele „Aha-Effekte“ in diversen Bereichen, die wir uns angeschaut und versucht haben nachhaltig kreislauffähig umzusetzen. Neben den großen Themenfeldern Energie, Mobilität, Gastro/Catering, Abfall/Entsorgung, Textil/Merchandise bis hin zu sozialer Nachhaltigkeit, war das Themenfeld Sanitär ein Augenöffner für uns. Dass es auch ohne die gelernte Chemie-Mobiltoilette geht und Toiletteninhalte als Nährstoffquelle zu betrachten sind, war für uns neu. Zu überlegen, wie menschliche Fest- und Flüssigstoffe aus Toiletten bestmöglich aufgefangen, getrennt, zu Nährstoffen und Düngemittel verarbeitet und wiederverwertet werden können, eröffnet neue, spannende Denkansätze. Des Weiteren bieten Duschen und Handwaschbecken große Potenziale: Beispielsweise indem durch eine Grauwasseraufbereitung leicht verschmutztes Wasser gesäubert und wieder in den Kreislauf zurückgeführt wird. Aber auch die Einsicht, dass solche Pilotprojekte einen gewaltigen Zeitfaktor in Anspruch nehmen, da es jeden Dienstleister einzeln abzuholen gilt, darf man nicht außer Acht lassen und muss im Vorfeld mit eingeplant werden. Gleichzeitig muss auf politischer Ebene die Nutzbarmachung von wertvoll gewonnen Düngemitteln aus Toiletten durch Änderung der Düngemittelverordnung erfolgen, sodass Dünger aus menschlichen Fäkalien auf Felder aufgebracht werden dürfen.

Weitere Links
Labor Tempelhof
Labor Tempelhof Guidebook
Cradle to Cradle NGO
Loft Concerts GmbH

Bild: ©Cradle to Cradle NGO, Max Arens