Potsdamer Stammbahn: Zurück in die Zukunft

22.09.2020

Berlin SÜDWEST

Großes Interesse an der Stammbahn-Veranstaltung am 21. September 2020 im Seminaris CampusHotel Berlin in Dahlem

Der Wiederaufbau der Stammbahn von Berlin nach Potsdam ist nicht nur im Berliner Südwesten ein aktuelles Thema. Politik und Verwaltung in Berlin und Brandenburg, Deutsche Bahn, unterschiedliche Bürgerinitiativen und Interessengruppen diskutieren teilweise sehr kontrovers Varianten und Vorschläge zur Reaktivierung der Stammbahn, zur künftigen Streckenführung und zum Betrieb. Was sind die Vorteile? Wer profitiert von der Reaktivierung? Wie setzen sich Bürgerinitiativen und Interessengruppen damit auseinander? Antworten auf diese und andere Fragen gaben die Teilnehmer der Vortragsveranstaltung und Podiumsdiskussion Cerstin Richter-Kotowski, Bezirksbürgermeisterin Steglitz-Zehlendorf, Michael Grubert, Bürgermeister Kleinmachnow, Peter Bley, Autor und Eisenbahn-Historiker, Alexander Kaczmarek, DB-Konzernbevollmächtigter für Berlin, Reinhard Crome, Bürgerinitiative Zehlendorf sowie Christfried Tschepe, Berliner Fahrgastverband IGEB e.V., moderiert von Robert Skuppin, Programmchef radioeins, rbb.

Einen historischen Rückblick vom Anfang der Stammbahn bis heute gab Peter Bley, Autor und Eisenbahn-Historiker. Die Stammbahn war die erste Eisenbahn Preußens und fuhr 1838 von Potsdam nach Berlin, aber nicht über Wannsee. Der größte Teil der Strecke ist heute noch teilweise in Betrieb (S-Bahn-Verkehr zwischen Yorckstraße und Zehlendorf sowie Regional- und S-Bahn-Verkehr zwischen Griebnitzsee und Potsdam). Aber die Gleise auf dem Streckenabschnitt zwischen Griebnitzsee und Zehlendorf sind größtenteils verschwunden. Nach 1945 fuhren alle Züge über Wannsee und Grunewald. 1961 wurde die Strecke zwischen Düppel und Griebnitzsee von DDR-Grenztruppen zur Grenzbefestigung umgebaut. Durch die Wiedervereinigung 1990 ergaben sich neue Perspektiven.

Neue Perspektiven bei der Schieneninfrastruktur ergeben sich vor allem für den Berliner Südwesten. „Bezirke wie Steglitz-Zehlendorf müssen verkehrstechnisch gut angeschlossen werden“, so Cerstin Richter-Kotowski, „damit Berliner Bezirke und Nachbargemeinden und -städte gut und schnell erreichbar sind“. Deshalb favorisierte sie für den Bezirk S-Bahn und Regionalbahn parallel auf der Strecke der Stammbahn mit neuen Haltestellen in Zehlendorf-Süd und Düppel. Es gehe nicht nur darum mit der Regionalbahn von Potsdam nach Berlin-Mitte durchzufahren, sondern durch Regionalbahnhalte in Zehlendorf und Steglitz sowie durch die neue S-Bahnhöfe einen Mehrwert für die Bevölkerung im Bezirk und seinen Nachbarn zu schaffen. Für die Anwohner an der Strecke forderte sie maximalen Lärmschutz und geeignete Untertunnellungen für die Straßen.
Ein klares Bekenntnis für die Stammbahn kam auch von Michael Grubert, Bürgermeister von Kleinmachnow: „Die Umlandregion und auch die Gemeinde Kleinmachnow brauchen die Stammbahn als Entlastung vom Individualverkehr. Nur so kann die Verkehrswende für die Zukunft gelingen.“ Die Bevölkerung in Kleinmachnow hat sich seit 1990 mit gegenwärtig 20.500 Einwohnern fast verdoppelt. Für Kleinmachnow und für den Europarc sind die Haltepunkte Dreilinden und Düppel äußerst wichtig. Die Stammbahn würde auch zu einer Entlastung des Pendelverkehrs im weiteren Umland bis Werder, Golm und der Stadt Brandenburg führen.

Der Ausbau der Schieneninfrastruktur im Projekt i2030 in der südwestlichen Region Berlins bis nach Brandenburg ist eine gemeinsame Planung der Länder Berlin und Brandenburg, der Deutschen Bahn und dem Verkehrsverbund Berlin-Brandenburg (VBB). Ziel ist es, mehr und bessere Schienenverbindungen für immer mehr Menschen zu schaffen. Zwischen Berlin und Potsdam soll eine Alternativverbindung – Regionalbahn und S-Bahn – geschaffen werden.

„Menschen entscheiden sich für schnelle Verbindungen, deshalb sind schnelle Verbindungen wichtig“, sagte Alexander Kaczmarek. „Um eine Erschließungswirkung zu erreichen, sollte die alte Stammbahnstrecke reaktiviert, zweigleisig ausgebaut und mit modernem Schallschutz ausgestattet werden.“ Gegenwärtig wird die Strecke als Versuchsstrecke mit Sonderfahrten von der Deutschen Bahn getestet. Kaczmarek verwies darauf, dass die Inbetriebnahme der Stammbahn noch viele Jahre dauern werde. Ziel der Deutschen Bahn ist es, die Strecke Anfang / Mitte 2030 in Betrieb zu nehmen. Der Planfeststellungsbeschluss der Stammbahn wird nicht vor 2027 / 2028 vorliegen. Einige Anwesende scherzten, dass sie das wohl nicht mehr erleben würden. Dazu Kaczmarek: „Wer mit Eisenbahnen zu tun hat, sollte gesund sein, weil alles so lange dauert. Aber es ist aller Anstrengungen wert, die Weichen zu stellen für die Kinder und Enkelkinder.“

Nach Schätzungen von Infrastruktur- und Städteplanern werden immer mehr Fahrgäste täglich nach Berlin bzw. Potsdam in beide Richtungen pendeln. Bis 2030 sollen es 28 Prozent mehr aus dem westlichen Brandenburg sein, d.h., etwa 20.000 Menschen mehr wollen täglich nach Berlin rein und wieder raus. Dafür wäre die Wiederbelebung der Stammbahnstrecke eine deutliche Verbesserung im öffentlichen Nahverkehr in Brandenburg und im Berliner Südwesten. Der Universitätsstandort Golm wäre vom Wissenschaftsstandort Berlin SÜDWEST besser erreichbar als heute. Kleinmachnow, die mit über 20.000 Einwohnern größte Gemeinde, hätte wieder einen Bahnhofanschluss nach Berlin und Potsdam. Von Zehlendorf würde sich die Fahrzeit zum Potsdamer Platz verringern und nach Potsdam, Golm und Werder gelange man direkt ohne umzusteigen. Steglitz bekäme einen Regionalbahnhof und wäre auch zum Einkaufen bequemer und schneller erreichbar.

Reinhard Crome von der Bürgerinitiative Zehlendorf, ein Netzwerk für ein „Lebendiges Zehlendorf-Mitte“, will, „dass Regionalbahnen zwischen Potsdam und Steglitz fahren“. Die Naherholung im Berliner Südwesten sei nach 1990 zusammengewachsen wie auch Zehlendorf und Kleinmachnow. Diese Ressourcen der Natur sollten genutzt werden. Die Stammbahn verschlinge nach seiner Meinung Natur und Kapazitäten. Für ihn stelle sich die Frage: „Rechtfertigt der Stammbahn-Neubau den jetzt nötigen Fahrgastnutzen, die sehr, sehr hohen Kosten, die fehlende Erschließungswirkung und vor allem die Naturzerstörung? Ein Bahnhof Düppel löse keine Verkehrsprobleme.“ Crome und seine Initiative unterstützen das Aktionsbündnis für einen ÖPNV im Südwesten Berlins und in Brandenburg mit dem Ziel: „Ressourcen nutzen, Natur schützen!“
Bei der Stammbahn müsse man auf die nachhaltigste Lösung setzen, auch wenn sie etwas mehr Zeit in der Umsetzung bedeuten könne, positionierte Christfried Tschepe die Meinung des Fahrgastverbandes IGEB. Er schlug vor, die Stammbahn-Strecke Potsdam-Berlin zweigleisig zu bauen und Schallschutz so viel wie zwingend notwendig einzusetzen, weil bei zu hohen Schallschutzwänden das Stadtbild leide und negative Reaktionen bei den Bürgern hervorrufe. Er hoffe, dass das Projekt i2030 umgesetzt werde, spätestens zum 200-jährigen Jubiläum der Stammbahn 2038.
Die Streckenführung der geplanten Stammbahn ist umstritten, weil sensible Bereiche wie die Wohnbebauungen und damit städtebaulich bedenkliche Räume davon betroffen sind. Für Dr. Jens Klocksin von der Bürgerinitiative Stammbahn gab es gute Ideen, beispielsweise übergangsweise die RB 33 zu verlängern, aber die Länder Berlin und Brandenburg waren dazu nicht in der Lage. „Jede Streckenführung hat ihre Vor- und Nachteile. Wir kommen immer mehr in die Frage der Abwägung: wollen wir mehr Autoverkehr oder schaffen wir Alternativen, die umweltfreundlicher sind und auf der Schiene stattfinden. Bei zunehmenden Autoverkehr müssen wir den Bürgern sagen, dass es eine realistische Alternative mit der Stammbahn gibt, um das Auto stehen zu lassen und damit vielfältig positive Effekte für die Umwelt zu erreichen.“

In der anschließenden Fragerunde kamen Befürworter und Gegner der Stammbahn zu Wort. Ein Thema war auch die Inbetriebnahme der „Friedhofsbahn“. Die Strecke führte bis zum Mauerbau 1961vom Bahnhof Berlin-Wannsee über Dreilinden zum Bahnhof Stahnsdorf und diente vor allem zur Anbindung an den dortigen Südwestkirchhof. Die Nutzbarkeit wurde in einer Potenzialanalyse untersucht; die Inbetriebnahme würde 60 bis 70 Millionen Euro kosten. Dazu Kaczmarek: „Die Friedhofsbahn ist nicht Teil des Projekts i2030. Ihr Verkehrswert ist gering.“ Immer wieder wurde darauf hingewiesen, dass durch den Bau der Stammbahn Naherholungsgebiete verloren gingen und Biotope vernichtet werden. „Neue Verkehrswege greifen in bestehende Zustände ein“, so Kaczmarek und fragte: „Was wiegt schwerer – der Eingriff in den Naturraum oder die Verkehrswende?“ Einige Fragende gaben zu bedenken, dass sich der Autoverkehr durch Stahnsdorf und Kleinmachnow nicht verringern werde, weil die Bahnhöfe nicht zentral lägen. Der Sprecher für die Studierenden aus Schlachtensee, alles Neu-Berliner, plädierte für die Stammbahn mit Haltepunkt in Düppel. Auf die Frage, warum München den Bau einer neuen Bahn-Strecke so schnell schaffe, entgegnete Kaczmarek: „Das stimmt nicht. Seit 30 Jahren ist der Bau in Arbeit. Wir sind in Deutschland nicht schnell, weil wir uns Regeln gegeben haben, die kompliziert sind. Bei der Stammbahn stagnierte das Projekt wegen der lange bestehenden Uneinigkeiten der Länder Brandenburg und Berlin, die jetzt ausgeräumt sind. Wir sind die besseren Bayern.“

Am Ende der Diskussion stellte Moderator Robert Skuppin fest, dass Details vor allem die Diskussion geprägt hätten, aber man sich in Vielem schon näher gekommen sei. Wann auch immer die Stammbahn rolle, der VBB sichere sich bereits die Marke i2040.
Die Veranstaltung fand im Rahmen der Reihe Berlin SÜDWEST 2020 statt. Mehr über das vom Regionalmanagement Berlin SÜDWEST und dem Bezirksamt Steglitz-Zehlendorf von Berlin initiierte Programm im Internet unter www.rm-berlin-sw.de.
Kontakt: Bärbel Petersen, Regionalmanagement Berlin SÜDWEST, Tel. 030/ 707 600 84, mail: presse@rm-berlin-sw.de

Foto: Andreas Simon, © RMSW