Liegt da was in der Luft?

02.07.2020

Berlin SÜDWEST

Schon 18 Tage nach einem Gottesdienst in einer Baptisten-Gemeinde in Frankfurt am Main, bei dem in einem geschlossenen Raum ohne Mund-Nasen-Schutz gesungen worden war, ließ sich bei mehr als 200 Personen eine Infektion mit SARS-CoV-2 nachweisen, die auf diese Zusammenkunft zurückzuführen war. Auffällige Infektionsereignisse wie das in der hessischen Großstadt rücken einen Übertragungsweg einer Corona-Infektion in den Fokus: die Ansteckung über kleinste Partikel, sogenannte Aerosole.

Bislang schien sich wie bei anderen saisonalen Corona- oder Grippeviren auch bei SARS-CoV-2 die Infektion hauptsächlich über Tröpfchen abzuspielen: Beim Niesen oder Husten sondern Infizierte größere Tröpfchen ab, die das Gegenüber anstecken können. Aufgrund ihres Gewichts fallen diese Tröpfchen relativ schnell zu Boden – anders als die winzigen Aerosol-Partikel, die sich – einmal etwa durchs Atmen ausgestoßen – viele Minuten oder sogar Stunden schwebend in der Luft halten können. Die in diesen kleinen Partikeln verpackten Viren könnten auf diese Weise auch ohne direkten Kontakt mit einem Infizierten zu einer Ansteckung führen, beispielsweise indem ein Raum mit kontaminierter „stehender“ Luft betreten wird. Doch wie infektiös sind Aerosole tatsächlich?

Freie Universität, Charité und Technische Universität forschen gemeinsam
Aufschluss darüber geben soll unter anderem ein Projekt von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern des Instituts für Tier- und Umwelthygiene der Freien Universität in Kooperation mit den Krankenhaushygienikern der Charité – Universitätsmedizin Berlin und Forschern der Technischen Universität Berlin: Aus der unmittelbaren Nähe von COVID-19-Patienten werden mittels eines sogenannten Luftkeimsammlers Luftproben genommen. Diese werden anschließend in einem sogenannten S3-Labor für die Arbeit mit hochpathogenen Erregern im Robert-von-Ostertag-Haus in Düppel kultiviert, untersucht und charakterisiert.

„Wir versuchen, infektiöses SARS-CoV-2 aus der Luft zu isolieren, um abschätzen zu können, wie hoch die Gefahr durch kontaminierte Luft tatsächlich ist“, sagt Professor Uwe Rösler, Geschäftsführender Direktor des Instituts für Tier- und Umwelthygiene. „Die Kolleginnen und Kollegen der Technischen Universität und der Charité werden dann aus unseren Daten Modelle erstellen, die unter anderem die Frage beantworten, wie weit diese Partikel transportiert werden.“ Bislang ist es den Wissenschaftlern gelungen, in der Luftumgebung von COVID-9-Patienten Viren-RNA, also genetisches SARS-CoV-2-Material, nachzuweisen. Das noch infektiöse Virus wiederum noch nicht.

Wie lange überleben Coronaviren?
An und für sich nicht weiter verwunderlich, denn: „Coronaviren sind eigentlich sehr austrocknungsempfindlich“, sagt Rösler. Sie würden zwar durch Luft übertragen, könnten sich aber in Luft abhängig von der Witterung nicht lange halten, da sie schnell austrockneten. Bei SARS-CoV-2 gibt es jedoch Hinweise, dass diese Umweltstabilität höher sein könnte. Die Wissenschaftler wollen nun unter anderem klären, in welcher Konzentration die Viren in der Luft in der Umgebung von COVID-19-Patienten überhaupt vorkommen und wie lange sie sich dort im noch infektiösen Zustand halten.

Dabei soll SARS-CoV-2 auch mit anderen Coronaviren von Menschen und Tieren verglichen werden, und zwar mithilfe einer deutschlandweit so einzigartigen vollklimatisierten Bio-Aerosolkammer. „In dieser Testkammer können wir Viren-Aerosole erzeugen und in der Luft verteilen“, sagt Uwe Rösler. Die Untersuchungen zur Umweltstabilität der Coronaviren könnten hier unter sehr gut definierten Klimabedingungen und sehr gut wiederholbar stattfinden.

Infektiosität von Aerosolen
Das Wissen um die mögliche Infektiosität der Aerosole und ihre Eigenschaft, sich in der Luft zu verbreiten, ist auch für ein weiteres Kooperationsprojekt der Veterinärmedizinerinnen und -mediziner wichtig. Gemeinsam mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern des Robert-Koch-Instituts und anderer Einrichtungen forschen sie im Rahmen des vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Projekts „EKOS“ zur Ausbreitung von hochinfektiösen, leicht übertragbaren Krankheitserregern.

Die Abkürzung EKOS steht dabei für „Entwicklung eines neuartigen Konzepts zur Sicherstellung der infektiologisch-medizinischen Versorgung von Patienten mit Krankheiten durch hochpathogene Erreger in Schwerpunktkrankenhäusern“. „Hier hatten wir zunächst die Ausbreitung hochkontagiöser – also hochansteckender –, sehr gefährlicher Erreger, wie etwa das Ebola-Virus, in deutschen Krankenhäusern in Krisensituationen im Visier“, sagt Rösler.

Nun sei das Forschungsvorhaben von der Realität eingeholt und um SARS-CoV- 2-Fragestellungen erweitert worden: Wie kann die sichere medizinische Versorgung von COVID-19-Patienten in Krankenhäusern gewährleistet werden? Wie kann dabei auch das Krankenhauspersonal geschützt werden? Wie müsste ein vorübergehender Isolierbereich in Notaufnahmen und auf Normalstationen in Krankenhäusern aussehen?

Das Robert-Koch-Institut bewertet die Übertragungsgefahr durch Aerosole mit Stand 12. Juni 2020 auf seiner Website wie folgt: „Eine Übertragung von SARS-CoV-2 durch Aerosole ist in bestimmten Situationen über größere Abstände möglich, zum Beispiel wenn viele Personen in nicht ausreichend belüfteten Innenräumen zusammenkommen, der Mindestabstand unterschritten wird und es verstärkt zur Produktion und Anreicherung von Aerosolen kommt. Inwieweit es hier zur Übertragung kommen kann, ist noch nicht abschließend untersucht.“ Infektionsgeschehen wie etwa der Ausbruch in Hessen legen dies nah – allein der wissenschaftliche Beweis fehlt bislang.
Von Melanie Hansen

Quelle: https://www.fu-berlin.de/presse/publikationen/tsp/2020/tsp-juni-2020/corona-aerosolpartikel/index.html
Bild: U-Bahn Berlin | Foto: © Wikipedia.org / Jcornelius