Till Hasbach

12.12.2024

Till Hasbach ist Gründer und Geschäftsführer von Playful Business, einem Start-Up am Zukunftsort Berlin Campus Charlottenburg, das spielerische Ansätze nutzt, um Innovation zu fördern und kreative Potenziale freizusetzen. Als Game Designer, Innovationsberater und Experte für Gamification entwickelt er Konzepte, die Unternehmen und Organisationen dabei unterstützen, komplexe Herausforderungen kreativ und effektiv zu meistern.

Moonshot ist das von Playful Business entwickeltes analoges Innovationsspiel, das darauf abzielt, Teams dabei zu helfen, bahnbrechende Ideen zu entwickeln. Durch interaktive Spielmechaniken, kreative Methoden wie Zukunftsinterviews und Moonshot Thinking sowie strukturierte Herausforderungen und paradoxen Interventionen wird ein Raum geschaffen, in dem ungewöhnliche Lösungen und strategische Innovation entstehen können.

 

Was hat Sie dazu inspiriert, Moonshot – The Innovation Game zu entwickeln, und wie hat sich das Spiel seitdem weiterentwickelt?

Die erste Version von Moonshot habe ich im Team an der Universität der Künste Berlin (UdK) 2018 entwickelt: Gemeinsam mit 3 Kommiliton*innen. Es war die Zeit von Uber, Tinder, Airbnb und den ganzen neuen wilden digitalen Geschäftsmodellen, die Hotels, Taxis und klassisches Dating „disrupted” haben. Damals, ich studierte Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation an der UdK, hatte ich das Forschungsmodul “Ubertrumpfen” belegt: Spiel und Innovation auf Kollisionskurs. Ziel des Moduls war es, eine spielerische Intervention zu entwickeln, die eine neue Perspektive auf das „Neue” hervorbringt – einfach gesagt: Innovation spielerisch erlebbar machen.

In der ersten Version hieß Moonshot noch “Unicorn Factory” und war ein Fünf-Schritt-Ideen-Generator-Game: ein verkopfter Methodenkoffer, der wenig Spaß gemacht hat und visuell blockiert war. Der Durchbruch zu Moonshot, wie es jetzt ist, gelang durch drei Dinge:

Unser erster Ansatz war der Gedanke, dass wirklich spannende Innovationen niemals linear verlaufen und genau so am Reißbrett entworfen wurden. Für besondere Einfälle braucht es glückliche Unfälle und absurde Kombinationen. Eine Methodik, die das Fördert, muss nonlinear sein und diese Zufälligkeit umarmen, statt jeden Schritt kontrollieren zu wollen.

Als zweites kam uns die Erkenntnis, dass die meisten Menschen Kreativitätstechniken nicht wirklich anwenden. Die 5 Hüte, Crazy 8, SWOT-Analyse oder aber die Kopfstandmethode. Das sind alles Methoden, die man gehört hat, aber die wenigsten Menschen haben sie im praktischen Einsatz erlebt. Moonshot sollte der Raum sein, in dem ich in 1,5 Stunden 30 Kreativitätstechniken gleichzeitig erleben konnte.

Und am wichtigsten jedoch war, dass wir realisierten, dass Moonshot Spaß machen muss. Das Prinzip in der Spieleentwicklung heißt hier “follow the fun”. Es bedeutet, dass man ein Spiel in seine Einzelteile zerlegt und die Dinge, die besonders Spaß machen, größer macht. Wir haben uns da bei “Munchkin” inspieren lassen. Einem Spiel, in dem man Türen zu Dungeons eintritt, um gegen obskure Monster zu kämpfen und dabei jederzeit von seinen Kumpan*innen sich helfen oder in den Rücken fallen kann.

Insgesamt entwickelten wir so Moonshot über die Jahre hin zu einem Werkzeug, dass Spaß macht, Menschen in ihren kreativen Fähigkeiten unterstützt und besondere Denkangebote schafft, die einfache Kartensets oder „Out-of-the-Box”-Metaphern nicht leisten können.

Wie kann Ihrer Meinung nach das Einbeziehen von Spielen in Unternehmen für mehr Innovationsgeist werben und Problemlösung verbessern?

Dafür ist es wichtig zu verstehen, was Innovationsprozesse hemmt. Neben fehlenden Ressourcen, Silodenken und Demotivation ist es vor allem ein Gefühl, das den Kopf des kreativsten Menschen leeren kann: Angst.

Teresa Amabile hat es in ihrer Forschung und ihrem Werk “The Social Psychology of Creativity” (1983) sehr gut dargestellt: Der größte Killer von Kreativitätsprozessen im Unternehmen ist Angst. Angst, ausgelacht zu werden. Angst, einen auf den „Deckel” zu bekommen. Angst davor, zu scheitern. Doch jede halbwegs innovative Lösung ist mit Unsicherheit verbunden – sonst wäre sie ja nicht innovativ. Und Unsicherheit erzeugt bei vielen Menschen eben erst einmal Angst & Sorgen. Da muss man gegensteuern, sonst macht niemand etwas, aus Angst zu viel Angriffsfläche zu bieten.

Aber Spiele – Moonshot insbesondere – kreieren einen „Safe Space”. Einen Raum, in dem viel psychologische Sicherheit herrscht, in dem ich mich lächerlich machen darf – vielleicht sogar muss. Johann Huizinga, der vielleicht erste Spieleforscher, hat in seinem Werk “Homo Ludens” diesen angstfreien Raum als „Magic Circle” beschrieben.

In Moonshot werden oft erst einmal fiktive Geschäftsmodelle und Ideen entwickelt. Auf den ersten Blick haben sie manchmal gar nichts mit dem Kerngeschäft zu tun, sind abwegig oder gar utopisch. Doch genau das schafft die mentale Freiheit, aus den Einschränkungen des Alltags auszubrechen. Moonshot vermittelt dafür die kreativen Fähigkeiten: Alle Ideen zulassen. Größer denken, dabei Overthinking vermeiden. Rekombinieren. Den Anfang wagen.

Meistens, wenn wir versuchen, Probleme auf direktem Wege zu lösen, stoßen wir auf die immer gleichen Denkblockaden – und damit auch auf ähnliche Ideen. Nur wenn wir uns trauen, den bequemen Weg zu verlassen und uns in den Dschungel aus Herausforderungen, Überraschungen und neuen Impulsen vorwagen, erreichen wir neue Erkenntnisse. Und wecken so den kreativen Willen, Ideen zu entwickeln, die wirklich begeistern.

Können Sie ein Beispiel nennen, bei dem eines Ihrer Spiele maßgeblich die Innovationsstrategie eines Unternehmens verändert hat?

Eines der besten Beispiele ist unsere Zusammenarbeit mit Vetter Pharma. Das Unternehmen wollte ein Innovationsprogramm starten, das nicht nur Ideen hervorbringt, sondern auch die Mitarbeitenden motiviert, selbst aktiv zu werden. Jeden Tag aufs Neue. Mit Moonshot haben wir ein System geschaffen, bei dem die Teams spielerisch Stempel in einem Bonusheft sammeln konnten – jedes Mal, wenn sie eine Innovationsmethodik einsetzten.

Darüber hinaus hat nach der Teilnahme Innovations-Bootcamps mit Moonshot ein Elektroingenieur ein Konzept für eine aktive H₂O₂-DCO-Dekontaminationslösung entwickelt. Diese Idee entstand durch die Kombination spielerischer Methoden wie “Schranken zu Wolkenschlössern”, einer Methodik aus Moonshot. Er hat sich durch die Moonshot-Methodik mit seinem Kollegen überlegt, wie man diesen Dekontaminationsgenerator nur durch Geräusche entwickeln kann. Das Ergebnis: Ein neuartiger Ansatz, der nicht nur die technischen Anforderungen erfüllt, sondern auch Sicherheitsrichtlinien innovativ umsetzt – etwa durch eine Kombination aus akustischen Warnsignalen und dezentralen Steuerungsmechanismen.

Das Konzept wird gerade in der Praxis getestet und als Grundlage für weitere Entwicklungen genutzt. Der Ingenieur selbst sagte, dass er durch Moonshot eine neue Perspektive auf Problemlösungen bekommen hat, die ihn bis heute begleitet und als Kartenset auf seinem Schreibtisch immer griffbereit liegt.

Welche Herausforderungen sehen Sie darin, traditionelle Branchen von der Anwendung spielerischer Methoden wie Moonshot zu überzeugen?

Eine der größten Herausforderungen ist, dass spielerische Ansätze wie Moonshot erst einmal neu sind. Methoden wie Design Thinking, Lean Start-Up und Lego Serious Play sind etabliert und es fehlt Moonshot die Bekanntheit. Das macht den Einstieg schwer.

Dazu kommt die Skepsis gegenüber Spaß im Arbeitskontext. Viele denken: „Wenn es nicht wehtut, bringt es nichts.” Diese Haltung ist tief in traditionellen Branchen verankert. Es häufig ein kleines Erlebnis, um zu zeigen, dass Spaß und gute Ergebnisse kein Widerspruch sind, sondern sich gegenseitig beflügeln können.

Ein weiteres Problem ist, dass man Spiele erleben muss, um sie wirklich zu verstehen. Moonshot zu erklären, ist wie zu versuchen, den Geschmack von Schokolade zu beschreiben. Und schließlich ist es schwierig, die Wirkung von Moonshot direkt zu messen. Gute Ideen brauchen Zeit, um getestet und iteriert zu werden, und oft wird der Wert erst viel später sichtbar.

Doch die CEOs werden schrittweise jünger, sind mit Spielen aufgewachsen und mittlerweile ist Moonshot in Innovationskreisen schon als ernstzunehmende Methodik bekannt. Das gibt mir Zuversicht.

Playful Business ist eine Ausgründung der Universität der Künste Berlin am Zukunftsort Berlin Campus Charlottenburg. Wie können junge Unternehmen von den Berliner Zukunftsorten profitieren, und was sehen Sie als den größten Mehrwert dieser Standorte?

Zukunftsorte wie Berlin Campus Charlottenburg bieten jungen Unternehmen eine Plattform, um sich zu vernetzen und von der Nähe zu Forschungsinstituten und Kreativbranchen zu profitieren. Für uns bei Playful Business war der Austausch mit anderen Gründer*innen und Kreativen in der Anfangsphase essenziell.

Ein großer Vorteil solcher Standorte ist die Konzentration von Ressourcen: kurze Wege zu Partnern, Fördermöglichkeiten und ein inspirierendes Umfeld. Man ist nicht allein in seinem Elfenbeinturm, sondern hat ständig Zugriff auf Feedback und neue Impulse. Das beschleunigt nicht nur die Entwicklung von Ideen, sondern sorgt auch dafür, dass man als junges Unternehmen früh sichtbar wird.

Wie sehen Sie die zukünftige Rolle von Gamification in der Geschäftswelt und im Bildungsbereich?

Die Größe des Gamification-Marktes wird für 2024 auf 15,43 Mrd. USD geschätzt und soll bis 2029 48,72 Mrd. USD erreichen, mit einer Wachstumsrate von 25,85 % im Prognosezeitraum (2024–2029, vgl. Mordor Intelligence).

Die Branche wächst um 25 % (!) pro Jahr. Und das aus gutem Grund: Spielelemente sprechen die Menschen auf einer Ebene an, die klassische Ansätze nicht erreichen – emotional, intuitiv und oft mit einer Leichtigkeit, die dem Alltag fehlt. In den USA wurde das National Institute of Play (nifplay.org) vor 20 Jahren von dem Psychologen und Spielewissenschaftler Dr. Stuart Brown gegründet. Es hat sich schrittweise zu einer Institution entwickelt, die Erkenntnisse zum Thema Spiel erforscht und zusammenträgt. Es gibt sogar eine eigene digitale Zeitschrift, Playtimes, die das Thema Spiel in Bildung und Wirtschaft beleuchtet. In Berlin gibt es das Institut für Ludologie von Prof. Dr. Jens Junge, der witzigerweise auch mein ehemaliger Professor ist. Neue Technologien wie VR und AR sowie ein neues Verständnis für die Kraft von Spielen, Erfahrungswelten zu erzeugen, die uns voranbringen, stehen im Mittelpunkt. Eine Generation, die mit Minecraft und Fortnite aufgewachsen ist, wird diese Erfahrungen ins Arbeitsleben einbringen. Unternehmen, die die genannten psychologischen Erkenntnisse, die Marktlage oder die neuen Technologien als „Kinderkram“ abtun, verpassen den Zug, wenn es darum geht, eine Kultur aufzubauen, die Innovation fördert.

In der Geschäftswelt sehe ich Gamification als eine Schlüsselmaßnahme, um die Unternehmenskultur nachhaltig zu verändern. Spiele fördern Zusammenarbeit, Motivation und eine Kultur des Experimentierens. Gerade in Zeiten, in denen sich Unternehmen schnell anpassen müssen, kann Gamification helfen, Prozesse agiler und gleichzeitig menschenzentrierter zu gestalten. Anders gesagt: Eine Organisation, die ihren Mitarbeitenden Spielraum gibt, investiert massiv in ihr Innovationspotenzial.

Im Bildungsbereich liegen die Chancen darin, komplexe Inhalte auf spielerische Weise greifbar zu machen. Zudem können Spiele die Neugier sowie die intrinsische Motivation, die Jugendlichen häufig in der Schule abtrainiert wird, wieder erwecken. Spielbasierte Werkzeuge aktivieren den natürlichen Entdeckerdrang, den wir alle besitzen, und machen Lernen zu einem Erlebnis. Mit der deutschen Telekom Stiftung haben wir daher seit 2,5 Jahren eine eigene EDU-Version, die jede Lehrkraft über die Seite (https://www.telekom-stiftung.de/aktivitaeten/kreativitaet-der-bildung) kostenfrei bestellen kann und ein Programm aufgebaut um Lehrkräfte darin zu unterstützen diese Werkzeuge im Unterricht einzusetzen.

Ob durch interaktive Simulationen oder Spiele wie Moonshot – gute Spielewerkzeuge kreieren ein attraktives Ziel, schaffen die Verbindung von spannenden Herausforderungen und neuem Wissen, bringen motivierte Menschen zusammen und erzeugen eine Lernerfahrung, die bleibt.

 

Weitere Informationen:

Moonshot – The Innovation Game

Playful Business: Innovation durch spielerische Ansätze | Berlin Campus Charlottenburg

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